Weites Land - Landschaftsmalerei

eine Gemeinschaftsausstellung

28. Januar bis 29. März 2006




Kurzgeraffter Versuch einer Rundumschau ins naheliegende weite Land

 

Glashütte liegt inmitten des Baruther Urstromtales, in einer nur stellenweise von Endmoränen durchzogenen Flachlandschaft. Hier, wie durchgängig in der Mark Brandenburg zu finden, und natürlich weit darüber hinaus, prägten die letzten Eiszeiten und deren glaziale Serie die Erdoberfläche so charakteristisch. Wir haben einen offenkundig unspektakulären Landstrich vor Augen, dessen viel gescholtener, aber schließlich auch gerühmter mär-kischer Sand, erst spät als Grundmaterie für die Kulturindustrie entdeckt wurde. Mancher Landeskundler zeigt Stolz, besitzt doch das horizontweite Land stellenweise holländische Anmutung. Und die Holländer waren es im 17. Jahrhundert auch zuerst, die das flache Land ihrer Heimat schätzen und dem in unzähligen Gemälden mit hohem Himmel huldigten.

 

Just im Blickwinkel von Ganzberlin aus wird das Umland allzu oft zum jwd (janz weit draußen), zum platten Land mit touristischen Abnaschstationen, sozusagen Natur pur im Vorübergehen. Doch Weitläufigkeit und Kargheit der heimischen Breitengrade bedürfen dementgegen ein deutlich verlangsamtes, geradewegs geruhsames Aufnehmen, Erlaufen und Erfahren.

 

In der Bundesrepublik werden statistisch gesehen tagtäglich soundso viel Quadratkilometer Landschaft verbaut, versiegelt, as-

phaltiert, betoniert etc. – also platt gemacht. Und dazu kommt weiterhin in der Niederlausitz der Braunkohlebergbau, der sich nach wie vor durch die Erde frisst und unterschiedslos Landstück um Landstück – samt den darauf gelegenen Dörfern – „in Anspruch nimmt“ (wie es bergbautechnisch so schön heißt). Wir Zivilisierte sind lange schon die Landplage Nummer eins - Landschaftsverbraucher.

 

Aber andersherum existieren auch seit geraumer Zeit die Konversion, der Rückbau und die Renaturierung am Problemhorizont. Die Internationale Bauausstellung IBA „Fürst Pückler Land“ hat sich der Bergbaufolgelandschaft verschrieben und entwirft ein Zwischenland, das in manchen Gegenden wie aus der Erinnerungslosigkeit emporzusteigen scheint. Diese brisante Mischung erst ergibt die hiesige, eben besondere Form der „(de)industrialisierten“ Landschaft – menschliche Eingriffe zählen allerorten schon zum festen Bestand. Der unberührte Naturraum schrumpfte längst zur blanken Illusion. Und nicht nur deshalb - benötigen wir Hinterland, Weite zum Durchatmen.

 

Landschaft erweist sich immer schon als Produkt. Urbarmachung - also Freiräumen samt (Brand)Rodung - und Kultivierung formen genauso wie Heimatforscher und Tourismusbranche am Bild nachhaltig mit, ebenso wie Literaten und Maler. Sie erst haben ja im ausgehenden 19. Jahrhundert die karge Mark mit ihrem versteckten Charme entdeckt und wegweisend festgehalten.

 

Überhaupt scheinen die Künstler als die prädestinierten Landschaftsmacher: schon eine Linie, auf den weißen Bildgrund gesetzt – gibt geradewegs zwangsläufig einen Horizont ab. Wir Menschen können offensichtlich nicht anders, als uns zu allererst zu orientieren... Einem landschaftlichen Bildmotiv ist von vornherein die Konstruktion eingeschrieben: denn das liegt am selektiven Sehvorgang des menschlichen Auges. Das da draußen, mithin das Landschaftliche, verwandelt sich unweigerlich zum Sinnenraum, zum Erfahrungsraum, zum Aktionsraum. Landschaft ist Gesellschaftsraum. Ich glaube, dass wir letztlich die Umwelt mit den Bildern unserer Innenwelt ermessen – und nicht umgekehrt! Viel Ermessensspielraum haben wir dabei kaum. Ohnehin gibt es die strikte Trennung zwischen Innen und Außen, zwischen Umland und Seelenlandschaft sowieso nicht.

 

Hie und da liegen in der brandenburgischen Streusandbüchse Orte und Unorte mit – um es paradox zu formulieren – unauffällig-bemerkenswertem Charakter versteckt, die keineswegs über irgendwelche Naturlehrpfade oder europäische Radwanderwege so einfach zu erreichen sind. Vielleicht bieten aber manche Kunstwerke dahingehend einen Schlüssel oder ein Ortungssystem, dem genius loci auf die Schliche zu kommen. Eine kräftige Portion Bodenständigkeit erscheint demnach zusätzlich von Nöten, machen wir uns als Wanderer oder Landschafter auf den Sandweg. Ausdauer und Intensität entpuppen sich bei einem derartigen Landgang als unentbehrliche Begleiter. Allein so vermag sich die häufig zu gewinnende Weitsicht zur Weltsicht zu entfalten. Wenn auch manche Erwartung an Landschaftsbilder heute immer noch reduziert auf die schönen Gegenden zielen – eventuell mit röhrendem Hirsch garniert, wenn’s ginge.

 

Doch die romantisch (Gänsefüßchen reichen für das missverstandene Adjektiv bei weitem nicht aus) erhoffte Natur-Mensch-Begegnung findet längst schon effizienter als Inszenierungskult statt. „Tropical Islands“ auf einem ehemaligen Militärgelände im Wald bei Brand geben ein beredtes Beispiel. Da wurde der für die Kunstoase benötigte Sand aus Italien herbeigeschafft, weil der am Ort vorhandene zu grobkörnig sei.

 

Geistesgegenwärtig bietet das alles gute Aussichten auf spannungsgeladene Landschaftsstücke. Und dies macht den himmelweiten Unterschied – denn hier kann man nicht einfach dahinlandschafteln.

Dies Land weitet den engen Blick…

 

Jörg Sperling

Cottbus - im Januar 06